Sá.Ko

In der Presse

Quelle: Sächsische Zeitung, 18. Juni 2005 von Ralf Grunert

Deutschland eine Idee geschenkt

Wie Wohnungsunternehmen beim Abriss Geld verdienen können, das zeigte 2002 ein in Hoyerswerda lebender Ungar auf und sorgt seither für Furore.
Der Blick schweift über schier endlose Getreidefelder in der Ukraine - durch das Fenster eines Hochhauses in Hoyerswerda. Im bitterkalten Winter in den rumänischen Karpaten verbreitet sich Wärme - vom Heizkörper eines Fünfgeschossers in Hoyerswerda. In Polen öffnet sich eine Tür - aus Hoyerswerda. Was nach Hirngespinsten klingt, ist so abwegig nicht. Denn seit Ende 2002 fließt ein stetig wachsender Strom von Bau- und Ausrüstungselementen nicht mehr existierender Gebäude gen Osten. Anfangs nur von Hoyerswerda aus, mittlerweile aber aus ganz Deutschland - in Bewegung gesetzt durch die einfache, aber brillante Idee eines seit 1988 in Hoyerswerda lebenden Ungarn.

Zu schade zum Wegwerfen

Das Förderprogramm "Stadtumbau Ost" des Bundes hatte Sándor Koczkás, der Ende der 90er Jahre noch als Prokurist einer Fensterbaufirma arbeitete, aufhorchen lassen. Mehr als eine Million Wohnungen, so hieß es seinerzeit, sollen vom Markt genommen, sprich abgerissen werden. Rund 70 Prozent davon waten bereits modernisiert worden. Und da selbst Fenster mit Thermoglas aus DDR-Zeiten, wie Sándor Koczkás wusste, in Polen und der Ukraine begehrt waren, erfasste er sofort die Tragweite der sich anbahnenden Entwicklung. "Statt in den Müll könnte man diese Fenster gratis oder preisgünstig nach Polen oder in die Ukraine abgeben. Damit sind erhebliche Entsorgungskosten zu sparen", so seine anfängliche Überlegung. Diese weitete sich schnell auf alle wieder verwendbaren Ausstattungselemente von Wohnungen aus. "Preisgünstig erwerben und weiterverkaufen", so die Geschäftsidee, die Sándor Koczkás erstmals beim Abriss des Einsteinstraßen-Hochhauses in Hoyerswerda in die Tat umsetzte. "Dort wurden die vorher der Wohnungsgesellschaft abgekauften Kunststofffenster und Heizkörper ausgebaut und an zwei polnische Handelsunternehmenweiterverkauft." Alles funktionierte bestens. Einige Zeit später machte sich Sándor Koczkás selbstständig.

Überwältigende Resonanz

Nicht ohne Vorbereitung, versteht sich. In Ostdeutschland schrieb er etwa 1000 Wohnungsunternehmen an und unterbreitet diesen sein lukratives Angebot. "Statt Demontage- und Entsorgungskosten zu zahlen - kassieren!" Die Resonanz war überwältigend, erinnert er sich. "Die Wohnungs-unternehmen waren begeistert." Parallel dazu hatte er in Polen, Ungarn und der Ukraine Großabnehmer gesucht, womit der Materialstrom gen Osten in Gang gebracht werden konnte.
 Auf deutlich mehr als 600 beziffert Sándor Koczkás die Anzahl der Unternehmen, mit denen er inzwischen zusammenarbeitet. In so gut wie allen Städten in Sachsen war er an Rückbaumaßnahmen beteiligt, natürlich nach wie vor auch in Hoyerswerda. Anfang 2003 hat sich, nachdem das Förderprogramm "Stadtumbau West" aufgelegt worden war, seine geschäftliche Tätigkeit sprunghaft erweitert. Ende 2002, so erinnert er sich, war eine Anzeige mit seinem Angebot in einer Fachzeitschrift in den Altbundesländern erschienen. Als er nach Weihnachten in sein Büro zurückkehrte, war im Fax-Gerät kein Papier mehr, quoll das Mail-Fach im Computer förmlich über vor Anfragen.
Seither ist Sándor Koczkás ständig auf Achse, zwischen 8000 und 10.000 Kilometer pro Monat. "Weil ich alle Baustellen persönlich anschaue und mindestens dreimal besuche." Ein Lager braucht der 46-Jährige nicht. In seinem Auftrag sorgen Montagefirmen, auch Hoyerswerdaer, für den fachgerechten Ausbau von Fenstern, Türen, Heizkörpern, Herden und allen Gegenständen, die sich wieder verwenden lassen. "Verkauft wird von der Baustelle weg. Zu der kommen die Käufer gleich mit Lkws." Die Wohnungsunternehmen bekommen ihr Geld von Sándor Koczkás vor dem Ausbau. "Meine Käufer bezahlen mich bei der Abholung oder in Vorkasse." Ohne Komplikationen: "Das wäre auch für Deutschland insgesamt eine gute Wirtschaftspolitik."

Verträge bis 2013

Das Erfolgsrezept von Sándor Koczkás ist einfach: "Hier sind alle Parteien positiv beteiligt." Das Wohnungsunternehmen spart die Kosten der Entsorgung für die Ausstattungselemente und bekommt sogar noch Geld. Er selbst verdiene beim Weiterverkauf zu Preisen, die nicht aus Schlag den hohen Gewinn bringen, dafür aber einen kontinuierlichen Absatz sichern. "Ich habe Verträge bis 2013."
Der osteuropäische Einzel- und Großhandel verdient ebenfalls bei der Abgabe an den Endverbraucher. "Und der Endverbraucher bekommt für wenig Geld eine Ausstattung, die er sich neu nicht leisten könnte oder die in seinem Land noch gar nicht zu haben ist." Selbst die Bundesrepublik Deutschland profitiert von diesem Material- Transfer gen Osten, wie Sándor Koczkás sagt. "Dadurch wird Deutschland die Entsorgung von mehr als einer Million Tonnen Abfall erspart."
Abfall, der anderswo begehrt ist und teilweise erstaunliche Wege bis zum Endverbraucher zurücklegt. Wie eine Fensterlieferung, von der Sándor Koczkás erst dieser Tage erfahren hat. Von einem polnischen Händler wurde sie an einen Ukrainer weiterverkauft. "Diese Fenster", das hat er über seine Kontakte erfahren, "sind jetzt in Rumänien aufgetaucht." Sie stammen von einem nicht mehr existierenden Haus - in Hoyerswerda.


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